Date mit Stefan – verwirrt

Ich hatte einen wundervollen Abend mit Stefan. Nachdem sich Jürgen für nächsten Donnerstag angesagt hatte, hatte ich keine großen Erwartungen an dieses Date. Stefan lebt in Österreich, in einer Beziehung, und obwohl ich als 15-jährige heftig in ihn verschossen war fand ich das, was ich auf Facebook von ihm sehen konnte, nicht mehr als nett.

Aber es kam ganz anders.

Stefan kam mir schon entgegen, als ich mein Fahrrad ein gutes Stück vor dem Café abschloss. Es war dunkel, ich konnte nur seine Konturen erkennen, wie er sich bewegte… ich war erstaunt, dass meine Erinnerung nach fast 35 Jahren noch so lebendig war!

Es ist nicht so, als wären wir zu Schulzeiten beste Freunde gewesen. Er bewegte sich in völlig anderen Kreisen als ich, und wir beide waren der Meinung, dass unsere Verabredung einem Blind Date gleichkam. Er erzählte mir, dass er sehr verwundert gewesen war, dass ich seine Einladung angenommen hatte. Er hatte gedacht, „bei der hab ich eh keine Chancen“. Tatsächlich erinnerte er sich an eine Ann, die „über den Sphären“ schwebte. Ich war schön, aber abweisend. Arrogant. Niemand kam an mich ran.

Das ist interessant, aber es macht mich traurig, darüber nachzudenken. Ich habe es gestern schon beschrieben. Ich hatte mich immer als unsichtbar empfunden. Mauerblümchen. Hässlich. Grau. Ich war damals magersüchtig, ich hatte überhaupt kein Selbstbewusstsein. Natürlich hatte ich versucht, das zu überspielen. Erfolgreich, wie es scheint. Meine Güte, hätte ich gewusst, wie ich auf diese Jungen wirkte, die ich selbst so toll fand, hätte ich wohl eine ganz andere Jugend gehabt.

Stefan erzählte von einem Erlebnis mit einem Mädchen aus meiner damaligen Clique. Er hatte mit ihr auf einer Party herumgemacht, und am nächsten Tag hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Er hatte sich gewundert, da er sie klasse gefunden hatte, aber angenommen, sie habe kein Interesse mehr an ihm. Nun, es war umgekehrt gewesen. Vor wenigen Jahren erst hatte sie ihm einen Brief geschrieben und erklärt, dass sie unsterblich verliebt in ihn gewesen war. Er war aus allen Wolken gefallen. Ich setzte noch einen drauf und offenbarte ihm, dass wir damals alle verknallt in ihn gewesen waren. Er fiel aus allen Wolken – ihm ging es wohl wie mir.

Es war 11 Uhr, als ich das erste Mal auf die Uhr schaute – wir hatten uns 3 Stunden angeregt unterhalten. Ich konnte vieles, was er erzählte, nachvollziehen. Er ist leidenschaftlicher Radfahrer und wir sprachen davon, wie es ist, Grenzen zu verschieben, sich immer wieder an die eigenen Grenzen zu bringen. Das ist ein Thema, das bei mir gerade sehr aktuell ist. Ich mache das im Sport, ich habe das durch CrossFit gelernt. Aber es hat auch etwas mit Ted zu tun. Ted nämlich tut das nicht. Er kommt nicht mehr vorwärts. Er betäubt sich mit seinem Alkohol, und ich hatte immer wieder das Gefühl, dass er mich in meinem Vorwärtsdrang ausbremst.

Und dann fragte er mich zu Ted. Ich hatte zu Beginn des Abends schon mal angedeutet, dass ich frisch getrennt bin. Ich hatte mir im Vorfeld schon überlegt, dass ich Fremden nicht erzählen werde, dass Ted und ich eine vierjährige Affäre hatten, stattdessen wollte ich den Alkohol als Grund nennen. Als Stefan dann fragte, was ich für die Zukunft geplant hatte, erklärte ich ihm, dass zurzeit alles durcheinander ist, dass ich meine Zuknft neu planen muss, weil die Zukunft, die ich mir erhofft hatte, nicht stattfinden wird. Ich machte aber deutlich, dass das nicht nur traurig, sondern auch befreiend ist – denn genau so fühle ich mich ja gerade auch.

Ich weiß natürlich nicht genau, was in Stefans Kopf vorging. Vielleicht hatte er einfach nur vor, mich abzuschleppen. Vielleicht wirkte ich in meinen Erzählungen wirklich so traurig, dass er mich trösten wollte. Er nahm meine Hand, während ich von meiner Entscheidung, mich von Ted zu trennen, erzählte. Und ich genoss das. Ab und zu nahm er mich in den Arm. Er roch gut.

Für meinen Geschmack verweilten wir aber viel zu lange beim Thema Ted. Ich wollte nicht darüber reden, aber Stefan kam immer wieder darauf zurück, wie schlecht es mir so kurz nach der Trennung doch gehen müsste. Ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er sein Mitgefühl auch mit dem Versuch verband, mich anzubaggern. Und eine der Umarmungen endete auch in einem unbeholfenen Kuss – den ich sehr genoss.

Wir verließen das Café um 1 Uhr, und Stefan begleitete mich zu Fuß nach Hause, während ich mein Fahrrad schob. Mir war klar, dass er nicht vor meiner Haustüre kehrt machen würde, und ich überlegte hin und her, was ich tun sollte. Ich kam zu keinem Ergebnis.

Und so standen wir vor meiner Haustüre und er umarmte mich. Und diese Umarmung fühlte sich wundervoll an. Stefan war mir fremd, aber er war mir gleichzeitig auch vertraut. Die Tatsache, dass er ein ehemaliger Klassenkamerad war, spielte eine riesige Rolle. Da war viel mehr Vertrauen als ich es zu einem anderen Mann gehabt hätte. „Und jetzt, soll ich gehen?“, fragte er mich. „Ja“, antwortete ich, wenig überzeugt oder überzeugend. Und so umarmten und knutschten wir weiter. Mir ging alles Mögliche im Kopf herum. Stefan gefiel mir. Und wenn ich jetzt auf diesen Abend zurückblicke, dann muss ich sagen, dass ich mich erneut ein wenig in ihn verknallt habe. Er ist nicht einfach nur gutaussehend, er ist einfach ein toller Kerl. Kein Bad Boy. Beziehungsmaterial. Nur leider ist er gebunden.

„Ich will dich jetzt nicht alleine lassen“, meinte er. Es war klar, was er wollte, und obwohl er mich nicht bedrängte, machte er mehr als deutlich, wie er sich entscheiden würde. Männer eben. „Es ist wohl besser, wenn du gehst“, entschied ich. „Die Konstellation ist ungünstig“. Aber Stefan wollte nicht gehen. Und so knutschten wir weitere 5 Minuten rum. „Die Konstellation ist ungünstig, du bist in einer Beziehung, und ich bin frisch getrennt“, wiederholte ich und drehte mich um. Irgendwer musste ja eine Entscheidung treffen. „Nun, wenn du es dir anders überlegst, auf dem Fahrrad hast du mich schnell eingeholt.“

Und so ging er, und ich brachte mein Fahrrad in den Keller. Und ich überlegte. Ich überlegte wahrscheinlich fast eine halbe Stunde lang – bis es wirklich zu spät war. Zwischendurch zog ich mir wieder meine Schuhe an, um ihm nachzulaufen, dann zog ich sie wieder aus. Schließlich sendete ich ihm eine SMS, in der ich mich für meine „blöde Kopfentscheidung“ entschuldigte.

Und dann fantasierte ich, wie er sich ins Auto setzte und doch noch vor meiner Wohnungstüre auftauchte. Es wäre so schön gewesen, mit einem Mann, der mir so vertraut, aber doch fremd genug ist, um das Ganze prickelnd zu machen, zu kuscheln. Ja, ich dachte nicht wirklich an Sex. Ich stellte mir Nähe vor. Nackte Haut auf nackter Haut. Zusammen einschlafen – etwas, was ich mit Ted nie wollte. Ich hatte plötzlich Wünsche, die ich an mir gar nicht mehr kenne. Vertrautheit, Nähe, Wärme… Wenn ich das jetzt tippe, kommen mir die Tränen in die Augen. Ich hatte und habe wirklich das Gefühl, dass ich eine falsche Entscheidung getroffen habe und eine Chance verpasst habe. Gleichzeitig weiß ich, dass ich richtig entschieden habe. Herz(liche Bedürfnisse) gegen Verstand…

Stefan antwortete jedoch erst heute Morgen. Ich gab mich kurz der Fanatsie hin, dass er ja zum „Frühstück“ vorbeischauen konnte, aber als ich das nächste Mal von ihm hörte, war er schon unterwegs zurück nach Österreich.

Und jetzt ist da ein Gefühl der Verwirrung. Meine Entscheidung war richtig. Stefan ist „Beziehungsmaterial“. Ich würde mich so richtig in ihn verlieben. Und wieder so richtig leiden, denn erstens lebt er seit 30 Jahren sehr weit weg von hier, und zweitens ist er eben in einer Beziehung. Ich käme vom Regen in die Traufe. Ich muss ja nicht mit dem Erstbesten ins Bett steigen. Trotzdem, es wäre schön gewesen.

Wir haben entschieden, dass wir unsere Gespräche fortsetzen werden. Wenn er mich wirklich so toll findet, wie er tut, dann wird er eine Möglichkeit finden, es mit mir zu versuchen.


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